Thuro Balzers Ansichtskarten

Im Jahr 1913 erschien die erste von wohl zwei Folgen mit Rostock-Motiven, herausgegeben von der Stiftung für Heimatschutz Meinigen. Fotografiert wurden die Motive von Thuro Balzer und Gustav Wolf.

Vorderseiten der Hüllen, in denen die Karten im Dutzend verkauft wurden
Rückseite der Ansichtskarten

Die deutschlandweit agierende Stiftung legte auch Motive anderer Städte auf. Für Mecklenburg sind neben Rostock die Orte Grabow, Parchim und Ribnitz belegt, überwiegend fotografiert von Thuro Balzer. Dabei stellt sich die Frage, warum der Fotoamateur Balzer die Aufträge erhielt und nicht ein Berufsfotograf. In den genannten mecklenburgischen Orten waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts Fotografen ansässig, die derartige Aufträge hätten ausführen können. Die Heimatschutzbewegung hat jedoch auf Amateure gesetzt, vielleicht aus Gründen der Identifikation mit dem Anliegen, vielleicht auch aus finanziellen Erwägungen.

Grabow. Großherzogliches Amt. Foto: Thuro Balzer
Aus Ribnitz. Foto: Thuro Balzer

Nicht nur von mecklenburgischen Städten wurden Karten verlegt, sondern z.B. auch von Orten in Baden, Bayern, Hessen und Thüringen. Fotografiert wurden die Orte von Menschen aus der Region, wie dem Regierungs-Bauführer Wildeman aus Darmstadt, dem Forstassessor Otto Feucht aus Hirsau oder anderen fachkundigen Personen, wie den Architekten Friedrich Wagner-Poltrock und Gustav Wolf. Berufsfotografen finden sich selten.

Vorderseite der Hülle der Karten aus Hirsau
Hirsau. Brückenhäuser. Foto: Forstassessor Otto Feucht
Hall. An der Michaeliskirche. Foto: Friedrich Wagner-Poltrock

Für Mecklenburg ist der Parchimer Fotograf Joseph Waldherr belegt.

Parchim. Eldearm mit Georgenkirche. Foto: Joseph Waldherr

Die Karten wurden im Dutzend mit einem vierseitigen Begleitwort in einer beidseitig bedruckten Papiertüte verkauft. Sie wurden auf einen gelblichen Karton gedruckt, was sie vermutlich älter wirken lassen sollte. Die Motive füllten den Karton nicht voll aus, es blieb ein Rand von einigen Millimetern. Die Bezeichnung der Motive erfolgte am unteren Bildrand in Frakturschrift. Die Schrifttype soll wohl historisierend wirken, war ansonsten in den 1910er Jahren nahezu ungebräuchlich. In den 1890er Jahren waren ähnliche, jedoch deutlich verspieltere Typen verwendet worden.

Schrifttypen auf Ansichtskarten um 1910. Oben eine Bildunterschrift der Heimatschutzserie, darunter andere Beispiele aus Rostock und Mecklenburg. Nachdem zu Beginn des 20.Jahrhunderts sehr häufig weiche, rundliche Schrifttypen verwendet wurden (2. von oben), fanden um 1910 sehr unterschiedliche Typen Anwendung.

Nach dem 1. Weltkrieg wurden weitere Postkartenserien von der Stiftung herausgegeben, die auf hellerem Karton und mit gefälligerer Schrifttype gedruckt wurden.

Die regionalen Heimatverbände waren anscheinend in die Publikationsvorhaben eingebunden, so auch der Heimatbund Mecklenburg.

Zweck der Veröffentlichung war es „den Blick zu schärfen für die Schönheiten Alt-Rostocks und die Erkenntnis in immer weitere Kreise zu tragen, dass wir die Schätze hüten müssen…“ (Rostocker Anzeiger, 17.08.1913)

Nicht alle Motive der Rostocker Postkartenserie stammen von Balzer. Einige hat Gustav Wolf aufgenommen. Wolf war Autor der Bücher „Norddeutschland“ und „Mitteldeutschland“ in der Reihe „Die schöne deutsche Stadt“, erschienen in den 1910er Jahren bei Piper in München. Wolf war ein Protagonist der deutschen Heimatschutzbewegung. In „Norddeutschland“ finden sich auch einige der Postkartenmotive von Balzer. Sieht man sich die nahezu 200 Bilder in dem Buch an, erkennt man schnell stilistische Gemeinsamkeiten: wenig Kontrast, die Straßen oft verschattet, fahler Himmel, nur selten sind Wolken einkopiert, Betonung der baulichen Silhouette. Diese Gemeinsamkeiten lassen sich auf die Postkartenmotive übertragen.

Balzers Motive zeigen ein Stadtbild, dass aus Sicht der Heimatschutzbewegung „in ihrer natürlichen und geschichtlich gewordenen Eigenart“ (Begleittext auf der Papierhülle der Postkartenserie) geschützt werden solle. Balzer zeigt jedoch keine natürliche Eigenart, sondern er erstellt Fassaden einer vergangenen Zeit. Zeugnisse technischer Errungenschaften wie z.B. Telefonleitungen oder zeitgemäße Fortbewegungsmittel wie Fahrräder oder Straßenbahnen werden nicht abgelichtet, weil sie anscheinend nicht zur Eigenart des Stadtbilds gehören. Und moderne Bauten wie z.B. das Warenhaus Wertheim oder das Kaufhaus Zeeck ebenfalls nicht.

Bevor weiter auf die Motive eingegangen wird, sollen an dieser Stelle noch eine Anmerkungen zu Balzers Biografie gemacht werden, insbesondere solche, die sich bei Wikipedia nicht finden.

Thuro Balzer (*1882†1967) war Maler und Grafiker. Von 1908 bis 1964 lebte er in Rostock. Balzer engagierte sich in Vereinen, die einen Bezug zur Kunst aufwiesen. So war er in der 1919 gegründeten Vereinigung Rostocker Künstler sehr aktiv.

Balzers Wirken im Nationalsozialismus wird bei Wikipedia mit diesen Formulierungen verharmlost:

„In der Zeit des Nationalsozialismus war Balzer obligatorisches Mitglied der Reichskammer der bildenden Künste. Er erstellte im Auftrag von Behörden und Unternehmen viele Gebrauchsgrafiken.“

Der zweite Satz ist wohl so zu interpretieren, dass Balzer im NS gut verdiente und NS-Behörden zu seinen Auftraggebern zählten.

Mit der Formulierung „obligatorisch“ im ersten Satz wird suggeriert, dass Balzer automatisch Mitglied der Reichskammer der bildenden Künste wurde. Es ist möglich, dass Balzer aus der Vereinigung Rostocker Künstler automatisch in die Reichskammer übernommen wurde. Fakt ist, dass nicht jeder Künstler/jede Künstlerin Mitglied wurde oder blieb.

Das Agieren der Mehrheit der Rostocker bildenden Künstlerinnen und Künstler (Thuro Balzer gehört dazu) während des NS gibt einigen Anlass zur Kritik, so wurde z.B. der jüdische Kollege Bruno Gimpel 1933 aus der Vereinigung Rostocker Künstler gedrängt.

Ab 1937 war Balzer Mitglied der NSDAP.

Balzers Landschaftsbilder aus Mecklenburg und Ostpreußen passten in die Zeit. So wurden seine Werke – neben denen weiterer Rostocker Künstler – in der Rostocker Kommunalpolitischen Schriftenreihe (Nr. 11, 1939) positiv erwähnt.

In der Endzeit des Nationalsozialismus wurden Landschaftsbilder von Balzer in der Ausstellung „Mecklenburgische bildende Kunst im Jahr 1944“ in Schwerin gezeigt. Eröffnet wurde die Ausstellung vom Gauleiter Hildebrandt.

Nach Kriegsende engagierte Balzer sich in der Sektion Bildende Kunst im Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands und war dabei auch mit „Kitschbekämpfung“ befasst. (vgl. Katalog zur Ausstellung „Bildende Künstler des Bezirkes Rostock zeigen ihre Werke“, 1954)

 

Zurück zu den Karten. Folge 1 umfasste Motive aus der Neu- und Mittelstadt, also dem Stadtbereich, der westlich der Grubenstraße liegt. Die Motive aus der Altstadt hätten somit folglich Motive aus dem Stadtbereich östlich der Grubenstraße umfasst. Allerdings wurden das Areal um die Viergelindenbrücke, einschließlich Kuhtor und Großer Wasserstraße der Altstadt zugeordnet.

Publiziert wurden mindestens 14 Motive, die der Neu- und Mittelstadt zuzuordnen sind und 19 aus der Altstadt. Es ist also zu vermuten, dass neben den beiden Ausgaben á 12 Stück auch Einzelkarten verkauft wurden. Von den 33 Motiven stammen 28 von Thuro Balzer und 5 von Gustav Wolf.

Mit der Folge 1 wurden Motive aus der Mittel- und Neustadt veröffentlicht. Das Begleitwort von Gustav Wolf ist ganz im Stil der Heimatschützer verfasst. Er lobt zwar die Platzgestaltung des Neuen Marktes („nach Art der Kolonialstädte“!), tadelt jedoch, dass der Platz durch so „manchen Neubau von unpassenden Maßen und Formen sehr entstellt sei und eine recht ungeschickte Reklame will dem arglosen Besucher die Worte: Butter, Seifen, Zigarren, Feuerversicherungsverein, Stehbierhalle usw. viel eindringlicher ins Gedächtnis prägen als die noch so gute Architektur.“

Die nachfolgenden Motive wurden von Thuro Balzer aufgenommen, lediglich die Aufnahme Bei der Marienkirche stammt von Gustav Wolf.

Christinenhafen und Jakobikirche
Fischerbastion
Blick auf die Jakobikirche
Hofecke beim Blauen Turm
Alte Stadtmauer
Alte Bürgerhäuschen in der Grapengießerstraße
Himmelfahrtsstraße und Kröpeliner Tor
St. Jakob bei der Jakobikirche
An der Jakobikirche
Burgwall, Marienkirche
Bei der Marienkirche. Foto: Gustav Wolf
Am Ziegenmarkt
Neuer Markt mit Rathaus
Vogelsang, Marienkirche

Die Folge 2 umfasst Motive aus der Altstadt, überwiegend aus dem Areal an der Viergelindenbrücke und den Straßen rund um die Petrikirche und Nikolaikirche. Für letztere findet sich im Begleittext eine Zeichnung mit Einzeichnung der Standorte, von denen die Aufnahmen gemacht wurden.

Zeichnung „Südliche Endigung der Altstadt“

Die Nummern wurden von mir zur besseren Orientierung in die Karte eingefügt. Die Nummer 1 steht für zwei Motive des Altstädter Borns, die Nr. 2 ist mir nicht bekannt, die Nummern 3 und 4 sind Motive der Mühlenstraße, die Nummern 5 und 6 sind Häuser am Schwibbogen bzw. ebenjener selbst. Die Nummer 7 habe ich hinzugefügt, sie zeigt die Lohgerberstraße. Ein weiteres Motiv aus diesem Areal ist nicht eingezeichnet, es ist ungefähr von der Nummer 6 in Richtung Westen aufgenommen.
Die meisten Aufnahmen stammen von Thuro Balzer, die Urheberschaft von Gustav Wolf ist gesondert ausgewiesen.

1 Altstädter Born bei der Nikolaikirche
1 Altstädter Born. Foto: Gustav Wolf
3 Alte Giebelhäuser in der Mühlenstraße
4 Mühlenstraße bei der Nikolaikirche
5 Am Schwibbogen. Foto: Gustav Wolf
6 Der Schwibbogen unter der Nikolaikirche
7 Lohgerberstraße mit Blick auf die Petrikirche
Bei der Nikolaikirche. Foto: Gustav Wolf

Und nun weiter zur Petrikirche.

Am Alten Markt
Beim Petritor. Foto: Gustav Wolf
Slüterstraße mit Petritor
Amberg mit Petrikirche
Amberg mit Blick auf das Katharinenstift
Beim Katharinenstift

Und abschließend zur Viergelindenbrücke.

Große Wasserstraße
Kornspeicher bei der Viergelindenbrücke

Auf den beiden obigen Karten ist u.a. die Gastwirtschaft „Stadt Schwaan“, einmal mit drei Werbeschildern an der Fassade, einmal ohne Werbung.

Große Wasserstraße (Ausschnitt), in der Bildmitte „Stadt Schwaan“
„Stadt Schwaan“

Auf einigen Karten sind die Firmenschilder, z.B. über den Erdgeschossfenstern zu sehen, bei anderen Karten wurden sie wegretuschiert. Auch an Fuhrwerken wurde Werbung wegretuschiert.

Die Präsenz von Fuhrwerken, Pferden und Handkarren auf den Karten erscheint in der Gesamtbetrachtung übermäßig. Richtig ist, dass es um 1900 zu einem Zuwachs an Fuhrunternehmen kam. Dieser ist jedoch im Zusammenhang mit anderen Transportmitteln, wie z.B. der Eisenbahn zu betrachten, von der sich keine Abbildung findet. Auch andere „neue“ Fortbewegungsmittel wie die Straßenbahn oder das Fahrrad finden sich nicht auf den Karten. Der Berufsstand der Karrenfahrer steht exemplarisch für den Wandel. Standen im Jahr 1890 noch 16 Karrenfahrer im Adressbuch, so findet sich im Jahr 1910 dort nicht einmal mehr die Berufsbezeichnung.

Kornspeicher beim Herrenstall
Herrenstall
Viergelindenbrücke

Die Rostock-Karten der Stiftung Heimatschutz sollen dem Betrachter das Bewahrenswerte der Hansestadt vor Augen führen. Sie sind ein inszenierter Ausschnitt der Wirklichkeit, die vollständige Realität bilden sie nicht ab.